Die Umsatzerwartungen der deutschen Assekuranz sind binnen zwei Jahren um die
Hälfte eingebrochen. Mittelfristig rechnen nur 21 Prozent der Topentscheider mit
steigenden Umsätzen. 2006 waren es noch 41 Prozent. Die Gesundheitsreform 2007
hat maßgeblichen Anteil am aktuellen Stimmungstief: Sie führte zu schwächeren
Geschäftserwartungen in der privaten Krankenversicherung. Zugleich verteuern
neue Gesetze und Regelungen den Aufwand pro Kunden. Fast jeder zweite
Topentscheider sieht die Umsetzung gesetzlicher Änderungen als zentrale
Herausforderung an. Dies entspricht einer Verdopplung im Vergleich zu 2006. Das
sind die Ergebnisse der Studie „Branchenkompass 2008 Versicherungen“ von Steria
Mummert Consulting in Zusammenarbeit mit dem F.A.Z.-Institut.
Jeder
vierte befragte Topentscheider kalkuliert mit Umsatzrückgängen, knapp jeder
zweite rechnet mit stagnierenden Geschäften. Dies sind die pessimistischsten
Prognosen seit Erhebung des „Branchenkompass Versicherungen“ im Jahr 2002. Um
aus dem Stimmungstal zu gelangen, setzen die Befragten vor allem auf die
Entwicklung neuer Produkte und auf Vertriebsverbesserungen, beispielsweise über
verstärkte Kooperationen mit Maklern. Jeder dritte Topentscheider gibt an, sein
Unternehmen entwickle neue Produkte und Tarife, die auch noch in drei Jahren
konkurrenzfähig und gesetzeskonform sein werden, um damit den neuen gesetzlichen
Vorschriften zu entsprechen (2006: 24 Prozent). Jeder fünfte Versicherer will
den eigenen Vertrieb und Außendienst optimieren (21 Prozent). Auch hier lässt
sich ein deutlicher Zuwachs gegenüber den Ergebnissen der Befragung von 2006
feststellen (elf Prozent).
Zu den gesetzlichen Änderungen zählt unter
anderem das EU-Projekt Solvency II, das zu einer grundlegenden Reform des
Versicherungsaufsichtsrechts in Europa führte und sich insbesondere auf die
Eigenmittelausstattung von Versicherungsunternehmen auswirkt. Daneben müssen
sich die Versicherer mit dem seit 1. Januar 2008 reformierten
Versicherungsvertragsgesetz (VVG) auseinandersetzen. Darin sind erhebliche
Änderungen zugunsten der Versicherungsnehmer enthalten. Hinzu kommt, dass
Versicherer seit dem 1. Juli 2008 umfangreiche Informationspflichten erfüllen
müssen, etwa indem sie ihren Kunden ein ausführliches Produktinformationsblatt
zur Verfügung stellen. Darüber hinaus beschäftigt sich die Branche mit den
Auswirkungen der seit Mai 2007 geltenden EU-Vermittlerrichtlinie, die erhöhte
Ansprüche an die Beratungsleistung von Vermittlern stellt.
Neben der
alles dominierenden Herausforderung, gesetzliche Änderungen umzusetzen, bereitet
die harte Wettbewerbslage den Entscheidern Sorge. 33 Prozent der Befragten
zählen diese zu den größten Herausforderungen in den kommenden drei Jahren – das
sind neun Prozentpunkte mehr als vor zwei Jahren. Andere Zukunftsaufgaben wie
die Kundenbindung, der Kostendruck und die Profitabilität haben seit 2006 ihre
Brisanz für die Versicherungsgesellschaften nicht verloren. Im Gegenteil: 15
Prozent der Befragten geben an, ihr Unternehmen wolle die Maßnahmen zur
Kundenbindung und -betreuung ausbauen. Zugleich rechnet jeder vierte Entscheider
mit einem „starken“ Bedeutungszuwachs für diesen Bereich. Von diesem Trend kann
jedoch nicht die Individualberatung profitieren. Sie ist derzeit für die Branche
deutlich weniger wichtig als noch vor zwei Jahren (21 gegenüber 31 Prozent).
Ausnahmen sind die Personenversicherungen und die großen Versicherer. Für sie
spielt die Individualberatung weiterhin eine Schlüsselrolle.
Um Kunden
mit neuen Produkten und Tarifen zu locken, sollen diese in Zukunft verstärkt mit
zusätzlichen fachfremden Dienstleistungen kombiniert werden. 31 Prozent der
Befragten sind der Ansicht, dass Assistance- und ähnliche Dienstleistungen bis
2011 immer wichtiger werden. Vor zwei Jahren haben nur elf Prozent der Befragten
solchen Dienstleistungen eine wachsende Bedeutung beigemessen.
Assistance-Dienstleistungen bieten Versicherungen ihren Kunden im Leistungsfall
an, damit diese etwa den Alltag nach einem erlittenen Schaden wieder bewältigen
können. Vor allem Krankenversicherungen nennen tendenziell häufiger
Assistance-Dienstleistungen als andere Versicherungssparten.
Relativ
stabil werden sich nach Meinung der Befragten die Geschäftsabwicklung und der
Vertrieb über das Internet entwickeln – immerhin 13 Prozent rechnen hier mit
einem starken Bedeutungswachstum. Die wichtigsten Produktbereiche finden sich im
Segment der Altersvorsorge: 17 Prozent der Entscheider erwarten eine wachsende
Nachfrage nach Produkten der privaten Altersvorsorge und der Riester-Rente.
Zudem planen 13 Prozent der Versicherer in Zukunft verstärkt Produkte für
spezielle Zielgruppen anzubieten.
Strategische Maßnahmen wie
Arbeitsgruppen für bereichsübergreifende Projekte (17 Prozent ) und
Marktforschung zur Identifizierung neuer Markttendenzen (14 Prozent) finden
ebenfalls mehr Aufmerksamkeit als in den letzten Jahren. Nur acht Prozent der
Topentscheider räumen ein, ihr Unternehmen werde bis 2011 Kosten durch
Personalabbau senken. Der tatsächliche Anteil ist schätzungsweise deutlich
höher. Die Versicherungsbranche befindet sich seit Jahren in einem
Konsolidierungsprozess, der mit einem erheblichen Personalabbau verbunden ist,
der sich mittelfristig fortsetzen wird.
Hintergrundinformationen
Im
Juni 2008 befragte forsa im Auftrag von Steria Mummert Consulting 100
Entscheider aus 100 der größten Versicherungsgesellschaften Deutschlands über
ihre Investitionsziele und Marktpolitik bis 2011. Die Entscheider vertreten die
wichtigsten Sparten der Personen- und Schadenversicherung: Leben, Kranken, Kfz,
Haftpflicht, Industrie/Gewerbe, Transport, Rechtsschutz und andere
Sachversicherungen. Befragt wurden die Vorstandsvorsitzenden,
Vorstandsmitglieder oder die Leiter der für Investitionen zuständigen Finanz-
und Entwicklungsabteilungen. Die Befragungen wurden mit der Methode des Computer
Assisted Telephone Interview (CATI) durchgeführt.
Anzeige