MVP-Systeme können Maklerpools durch KI ersetzen

Trotz GDV-Daten und BiPRO-Normen wird die Datenversorgung von den Maklern bestenfalls als suboptimal empfunden. In der aktuellen dvb-Studie brachte ein Makler sein Leid auf den Punkt: "Ich habe MVP- und Poolsysteme ausprobiert, aber es war immer eine Suche nach den Kundendaten. Ich wollte immer ein System, in das alle unterschiedlichen Anbindungen einfach integriert werden können."

Es gibt funktionierende Lösungsansätze, ein Mitbewerber von Marc Rindermann hat sie gerade vorgestellt, aber sie erfüllen nicht die Bedürfnisse der Makler nach einfachen Lösungen.

Das könnte sich jetzt durch KI ändern, auch hier ist die Firma OpenAI als Hersteller von ChatGPT ein Heilsbringer. Mit der neuesten Version 6 von AMS und den KI-Erfahrungen der letzten Jahre fasst Marc Rindermann das mittelfristige Entwicklungsziel mit einer Analogie aus der Automobilindustrie zusammen: AMS 6 soll autonom fahren können. In den Bereichen Abrechnung, Vertragsverwaltung und Kundendaten soll sich der Makler nicht mehr um die Datenversorgung kümmern müssen. Alle automatisierbaren Geschäftsvorfälle werden vom System bedient. Damit wird der Makler massiv entlastet, auch in Bereichen, die heute der Maklerpool für den Makler übernimmt.

Wir haben drei KI-Anwendungsszenarien in der neuesten Version von AMS 6 betrachtet:

1. Personenbezogene Daten werden korrekt aus Visitenkarten und Briefbögen ausgelesen und verarbeitet. Besonderheiten wie private und geschäftliche Adressdaten werden unterschieden und entsprechend zugeordnet. Störungen wie Flecken oder Knicke auf dem Dokument führen nicht zu fehlerhaften Daten.

2. Ein Kunde möchte ein Angebot für eine Kfz-Versicherung. Er hat selbst schon ein wenig recherchiert und schickt eine Vergleichsübersicht für sein Auto im PDF-Format, in der bereits drei Versicherer ihre Angebote beschreiben. Die KI extrahiert die Fahrzeugdaten und den Leistungsumfang. Sie erstellt eine Anfrage an den Vergleicher und liefert dem Kunden die Ergebnisse.

3. Ein Versicherer sendet per BiPRO 430 eine LV-Vertragsauskunft mit aktuellen Rückkaufs- und Erwartungswerten für drei verschiedene Annahmen zur Zinsentwicklung. Die KI erkennt die Werte und aktualisiert die Vertragsverwaltung mit diesen Werten.

So einfach sich diese Anwendungsfälle anhören, so komplex ist die automatische Verarbeitung. Jede Visitenkarte ist ein Unikat, eine Vertragsübersicht und insbesondere eine Gegenüberstellung mehrerer Produkte nutzt vielfältige Layoutmöglichkeiten. Die KI kommt damit ohne spezielles Training zurecht, da AMS je nach Anwendungsfall, Sparte und Produkt eine passgenaue Arbeitsanweisung (= Prompt) an die KI erstellt. Wie das funktioniert? Betriebsgeheimnis.


Marc Rindermann: Wir haben schon vor dem Erfolg von OpenAI intensiv in diesem Bereich geforscht und entwickelt, Anwendungsfälle identifiziert und mit eigenen Modellen unterlegt. Aber wir kamen bei den Ergebnissen nicht über 80 Prozent Genauigkeit hinaus. Mit OpenAI hat sich das schlagartig geändert, wir haben praktisch nur durch den Wechsel des Sprachmodells eine ganz neue Qualität erreicht und wirklich beeindruckende Ergebnisse erzielt. Da war klar, dass wir das weiterverfolgen müssen.

Henning Plagemann: Zu welchem Grad der Genauigkeit bzw. Richtigkeit der Ergebnisse kommen Sie aus heutiger Sicht?

MR: Das Interessante an KI ist, dass man unerwartete Ergebnisse bekommen kann, eine Überprüfung der Ergebnisse ist heute noch Pflicht, denn für die Richtigkeit der von KI generierten Daten ist der Makler verantwortlich. Die EU erarbeitet dazu gerade Richtlinien, wie mit KI Informationen umzugehen ist. Wir sind bei einer Gewissheit von über 90 Prozent, aber in einigen Bereichen ist die Genauigkeit so gut wie die von Menschen eingegebener Daten, nur dass die Maschine besser wird.

HP: Wenn AMS die KI-Systeme von OpenAI einsetzt, werden dann die Kundendaten verwendet, um die Systeme zu trainieren? Und wird das AMS-System dann nicht zu einem reinen Durchlauf von Daten?

MR: Wir verwenden die EU-Version von OpenAI in der Microsoft Azure Cloud mit DSGVO-Zertifizierung. Es werden keine Daten für das Training verwendet, das ist auch nicht notwendig. Unsere Kernkompetenz im Bereich KI ist die Erstellung der Prompts, also sozusagen des Arbeitsauftrags an das Sprachmodul von OpenAI. Dazu müssen wir Daten aus einem PDF-Dokument aufbereiten, Grafiken entfernen und dafür sorgen, dass die KI den Klartext erhält. Dann erstellen wir je nach Anwendungsfall den Prompt für das KI-System und erhalten eine Antwort zurück. Diese wird dann von unserem System validiert und weiterverarbeitet.

HP: AMS 6 benötigt die Assfinet-Cloud, die KI-Systeme können natürlich nicht auf dem eigenen PC betrieben werden. Wenn ich noch einmal auf die These von den ausgedienten Maklerpools zurückkomme: Wird acturis auch menschliche Dienstleistungen anbieten, die bisher vom Pool kamen?

„In Zukunft wird das MVP-System die technische Leistungsfähigkeit eines Pools erreichen.“

Marc Rindermann
Acturis Deutschland GmbH

MR: Meine provokante These ist seit Jahren, dass die Maklerpools nur aufgrund der schleppenden Digitalisierung der Versicherer so erfolgreich werden konnten. Die Versicherer haben dann argumentiert, dass sie nicht mit jedem einzelnen Makler in den Dialog treten wollen oder können, auch nicht in der Produktbetreuung und im Vertrieb. Aber zu 70 Prozent war es die fehlende Digitalisierung. Und das werden wir mit unserer Plattform ohne menschliches Zutun automatisieren, also mit den technischen Leistungen eines Pools gleichziehen. Fragen zu Produkten oder zum Vertrieb muss der Makler dann mit dem Versicherer klären, dafür braucht es weiterhin Menschen. Aber die Technik wird ganz neue Geschäftsmodelle ermöglichen.

HP: Einige Versicherer befürchten bereits, auf die Rolle eines reinen Produktanbieters reduziert zu werden. Wie reagieren die Versicherer auf die vielversprechenden Entwicklungen im Bereich der Maklerprozesse?

MR: Ich versuche, den Gesellschaften klar zu machen, dass sie von unseren Maklern in Zukunft nur noch strukturierte Daten bekommen, nichts Individuelles mehr. Das ist für einige ein Problem.

HP: Warum haben Versicherungen Probleme mit strukturierten Daten?

MR: Die Versicherer haben ihre etablierten Systeme, mit denen sie unstrukturierte Daten verarbeiten. Mails von Maklern, PDF-Anhänge oder per Post - all das wird verarbeitet, vielleicht auch mit KI erkannt und in die entsprechenden Fachabteilungen geleitet. Das läuft, und laufende Systeme will man ungern umstellen. Aber wir werden mit unseren Services zwischen Makler und Versicherer den Datenversand für alle Geschäftsvorfälle  optimieren, auch dort, wo der Versicherer aktuell keine BiPRO-Normen unterstützt. Wenn der Geschäftsvorfall des Maklers im Servicedialog mit unserer Plattform abgeschlossen ist, übergeben wir die Daten sozusagen schrankfertig an den Versicherer.

HP: Haben Sie die erforderliche Marktmacht, um das zu erzwingen?

MR: Ich sehe das eher als logische Konsequenz der Entwicklung. Denken wir an die Vergleicher, irgendwann war Papier für die nicht mehr praktikabel und dann kam sehr schnell das PDF und auch der Einheitsantrag in die Welt. Auch wenn einige Versicherer das in der Übergangszeit noch ausgedruckt haben.

HP: Wenn das MVP-System des Maklers zukünftig durch massive technische Investitionen das Leistungspotential eines Pools erfüllt, stellt sich natürlich die Frage nach einem wirtschaftlich sinnvollen Einsatz. Denn das Poolsystem ist ja kostenlos bzw. wird durch den Provisionsoverhead quersubventioniert.

MR: Der Einsatz von KI kostet Geld, deshalb setzen wir auch auf die Version 3.5 von OpenAI, weil die Version 4 aktuell rund das Zwanzigfache kostet. Und Softwaresysteme sind nie kostenlos, auch nicht die der Pools. Im Maklermarkt gibt es massive Konzentrationsprozesse. Die Investoren haben Renditeerwartungen, die entweder zu höheren Kosten bei den Versicherern oder zu geringeren Umsätzen bei den Maklern führen werden. Der unabhängige Makler mit eigenem Bestand wird von einer kostengünstigeren Direktanbindung an die Versicherer profitieren. Dazu muss er aber seine Bestände wirtschaftlich effizient verwalten, wofür wir die notwendigen Werkzeuge liefern.

HP: In den letzten Tagen hat OpenAI von sich reden gemacht, weil es praktisch über Nacht seinen Chef und Erfinder Sam Altman entlassen und dann wieder zurückgeholt hat.

MR: Sein Weggang wäre sehr schade gewesen, ich habe die Entwicklung schon vor dem Hype verfolgt und kann die alten Livestreams von ihm auf Youtube nur empfehlen. Er ist wirklich ein Guru auf diesem Gebiet. Ich sehe solche Veränderungen aber gelassen, da ich das Sprachmodell in meinem System sofort durch einen anderen Anbieter ersetzen kann.